26. September – 08. Oktober 2022
Nachdem wir zum Putzen, Packen und Aufräumen in Schleswig fast Kaiserwetter hatten – schön spätsommerlich mild und sonnig – kommt der Dauerregen. Unfreundliches Abschiedswetter – richtig isselich. Wenn wir (zumindest ich) vor Einlaufen in Schleswig noch gedacht haben, dass wir auch ruhig noch etwas länger hätten unterwegs sein können, sind wir doch jetzt beide froh, die Reise bei schönem Wetter beendet zu haben. Es wird mit Macht Herbst und die freundlichen und angenehmen Tage auf dem Wasser sind gut an einer Hand zu zählen.
Wir können uns mit der Werft so absprechen, dass wir beim Auswassern dabei sind. Das haben wir gehofft, denn nach so langer Zeit in nördlichem Ostsee-Wasser wollen wir nicht nur auf Fotos sehen, wie unser Unterwasserschiff so ausschaut. Und das sieht deutlich besser aus, als befürchtet. Der Rumpf ist nur etwas schleimig, was aber bedeutet, dass der Unterwasseranstrich am Rumpf gut wirkt und keine Organismen an ihm Halt finden. Auch keine einzige Seepocke ist zu finden, was allerdings auch daran liegt, dass wir so lange im Norden der Ostsee unterwegs waren. Dort ist der Salzgehalt annähernd Null und das mögen Seepocken überhaupt nicht.


Alle Arten von Seepocken leben im Meer, nur wenige im Brackwasser von Flussmündungen, aber keine in Süßwasser. Es gibt von zeitweilig trockenfallenden Gezeitenzonen bis in die Tiefsee, von der Arktis über die Tropen bis zur Antarktis weltweit ca. 450 verschiedene Arten. Ihre Larven können sich auf nahezu jeder Oberfläche ansiedeln, brauchen allerdings in der ersten Phase einige Stunden Ruhe, damit ihr produzierter „Klebstoff“, mit dem sie sich an Felsen, Schiffen, Lebewesen (Walen, Schildkröten) anheften wollen, aushärten kann. In historischen Zeiten – bei Schiffen mit Holzrumpf – konnte durch starken Pockenbefall nicht nur die Geschwindigkeit des Schiffes stark reduziert werden (das geschieht auch heute noch), auch die Stabilität des Rumpfes konnte in Gefahr geraten. Daher wurde schon damals Bewuchs abgekratzt und der Rumpf mit Pech oder Teer angestrichen. Heute werden da natürlich andere Mittel verwendet.

irgendwie etwas nackt und traurig aus 😢



Wir bleiben noch eine Nacht in Schleswig in einem netten Hotel, um dort bei einem leckeren Abendessen gemeinsam mit Freunden einen würdigen Reiseabschluss zu begehen. Dann geht es heim. Die Rückfahrt am Freitag (30.09.) wird zur Staufahrt… warum sollte sich das Verkehrsaufkommen in den letzten Monaten auch geändert haben🤷♀️ Aber nach immerhin (nur) 3,5h trudeln wir wohlbehalten zu Hause ein. Und da wir es immer möglichst schnell wieder ordentlich und gemütlich haben, packen wir auch heute noch fix alles aus und an seinen Platz. Zu waschen ist nur wenig, da ich schon in Schleswig gut vorgearbeitet habe. Beim abendlichen Tischdecken müssen wir dann aber doch etwas überlegen: wo stehen noch gleich die Teller? Schranktür auf… nee, Tassen und Kaffeegeschirr. Nächste Tür… Teller gefunden. Na bitte! So langsam finden wir uns wieder zurecht. Der Abend wird kurz, denn irgendwie sind wir doch etwas geschafft.
Kalli schläft nachts recht unruhig und wacht verschwitzt auf. Was tut man da in diesen unseren Zeiten? Corona-Selbsttest. Ergebnis: positiv! 🤷♀️ Da fährt man gut 5,5 Monate ohne Infektion durch die Gegend und kaum zu Hause ist man infiziert. Mein Test ist negativ und so mache ich mich schnell auf den Weg zum Einkaufen. Ein bisschen was Frisches, Salat, Obst… ansonsten haben wir genügend Vorräte in der Gefriertruhe. Der tut es auch gut, wenn sie mal etwas Erleichterung erfährt und leer gegessen wird.
Fahren muss ich allerdings mit Kallis Auto, denn bei meinem hat die Batterie gemeint, ihren Dienst quittieren zu können. Der ADAC schafft Abhilfe und stellt fest: die Batterie ist schon 22 Jahre alt (mein Auto ist 27!). Das ist doch mal ne Leistung. Dann durfte sie nun auch wirklich schlapp machen.
Am Sonntag zeigt ein erneuter Selbsttest, wie zu erwarten, auch bei mir ein positives Ergebnis. Habe aber keine Symptome, wenn man von etwas hüsteln absieht. Und auch bei Kalli: weiterhin kein Fieber, keine Schlappheit oder sonstiges. Nur eben zwei Striche auf dem Testfeld. Also werden wir uns die nächsten Tage wohl damit beschäftigen, zu Hause alles wiederzufinden, die vielen Fotos zu sortieren und auf einen negativen Test zu warten. Für mich schon blöd und ziemlich unangenehm: 6 Monate „Urlaub“ und am ersten Arbeitstag krank melden… das ist nicht so meins 😷🫣🙄
Und dann auch noch morgens nur einen Kaffee trinken ohne die Notwendigkeit, die Windvorhersage zu checken💨😎… sehr ungewohnt!
Stattdessen – für Zahlen-Interessierte – hier eine kleine Zusammenfassung unserer Reise:
- 177 Tage an Bord, davon 28 Tage das große Warten auf die Brückenöffnung bzw. zum Ende gemütliches Aufräumen zum Einwintern
- 2.063 sm = 3.820 km zurückgelegte Strecke, leider ca. 65% mit Motorunterstützung bzw. nur unter Maschine: wegen Flaute… engen Fahrwassern, in denen wir nicht segeln wollten… vor der nächsten Wetterverschlechterung lieber etwas Strecke machen… oder einfach zu wenig Geduld, um bei wenig Wind mit 2kn dahinzutreiben
- 79 verschiedene Häfen und Ankerplätze, einige natürlich auch doppelt
- 86 Reisetage mit Tagesetappen von von 10 – 70 sm
- 62 Hafentage wegen unpassendem, meist Starkwind… heftiger Dünung… oder weil’s einfach schön war in Bucht oder Hafen
- frühestes Ablegen um 02 Uhr: gleich mehrfach, um den richtigen Wind abzupassen – war immer schon taghell
- spätestes Anlegen um 23 Uhr: immer noch taghell
- nur eine verbrauchte 5kg-Gasflasche wegen des möglichst häufigen Einsatzes der Elektro-Kochplatte (war ein super Tipp und hat sich bewährt)
- keine Grundberührung: wir navigieren sehr konservativ, d.h. mit möglichst viel Abstand zu flachen Stellen und haben auf dieser Reise auch keinen bisher unentdeckten Stein getroffen – ist aber auch immer ein bisschen Glück dabei
- keine sonstigen Schäden oder Verluste (mal von dem undichten Kompass, ausgefransten Gastlandflaggen, 4 Gläsern, diversen verschlissenen Segelhosen, Schuhen, Sandalen und verblichenen Shirts abgesehen)
- fast nur positive Begegnungen und einige sehr nette neue Bekanntschaften
- 5 gelesene Bücher, 2 gestrickte Pullover, 1 geknüpfter Gürtel, 1 Obstnetz, ca. 30-35 geknotete Schlüsselanhänger und Armbänder (davon viele verschenkt)
- tausende Tiere in nahezu unberührter Natur: Möwen, Enten, Schwäne, Graureiher, Kormorane, 6 Seeadler, unzählige andere Vögel, viele Seehunde, Kegelrobben, Schweinswale und 1 Delfin, hunderte Fische und 2 Fischotter, 4 Schlangen, Damwild, 1 Elch (!!) und erstaunlicherweise nur ganz wenige Mücken
- hunderte schöne Erlebnisse und Eindrücke (und Fotos), von denen wir noch eine ganze Weile zehren können!
Also, was wollen wir mehr?
Und übrigens: nach 1 Woche sind wir beide wieder „negativ“ am Start! Da haben die vier Covid19-Impfungen und unser offensichtlich aktives Immunsystem gute Arbeit geleistet.
Stay tuned and keep watching
3 Responses
Ja, sehr schön, vielen Dank, der Abschlussbericht hat noch gefehlt und krönt das ganze Reisetagebuch. Vielen Dank auch für die Statistik. Das ist schon toll, was es heute für Möglichkeiten gibt – wenn früher einer weggesegelt ist, dann musste man ihn ziehen lassen, heute liest man von ihm im Internet!
Ich wünsche ein gutes Ankommen. die Firma steht noch!
Wenn Sie dann Montag wieder da sein werden, freu ich mich, Sie zu sehen!
Herzlichen Dank für eure tolle Berichterstattung, war toll mitzulesen.
Gruß Jörg
Das war ja wohl eine spannende und erlebnisreiche Reise. Leider ist unser Wunsch nach stets traumhaftem Wetter nicht in Erfüllung gegangen. Danke für die tolle Berichterstattung, die ich mit Interesse verfolgt habe. Die äußerst interessante Zusammenfassung gibt das gesamte Unternehmen sehr beeindruckend wider.
Wir wünschen Euch nun eine erholsame Winterpause.
Werner