Entlang der Jungfrukusten

Etappen Hudiksvall – Agön – Segelvik – Storjungfrun – Granskär

23. – 29. Juli 2022

Jungfrukusten = die Jungfrauenküste nennt sich die Region, die sich im Norden von Sjöfärden (etwas nördlich als Mellanfjärden) bis in den Süden nach Gävle, der ältesten Stadt in Nordschweden erstreckt. Entlang dieses Küstenstreifens, der sowohl nach der hier größten Insel „Storjungfrun“ als auch nach der jungfräulichen Natur benannt ist, liegt ein Gewirr von über 4500 Inselchen, die allerdings größtenteils sehr aufmerksam bzw. von uns garnicht angefahren werden können, da es überall recht flach ist. Viele viele authentische alte Fischerdörfer (immer nur wenige Häuschen und meist eine kleine Kapelle – wie auch in Kuggören) wirken wie aus der Zeit gefallen. Gedanklich – eher navigatorisch – geht es für uns hier ein bisschen zurück nach Finnland. „Hier hat wohl mal ein Riese in grauer Vorzeit seine Taschen geleert und eine Handvoll Kiesel und Krümel ins Wasser geworfen“ – so erzählte uns damals ein Finne von seiner flachen und steinigen Heimatküste.

Am Samstag (23.07.) haben sich die Regenwolken samt Inhalt verzogen und die Sonne zeigt sich wieder. Das Aussitzen der Regenfront in Hudiksvall hat sich gelohnt und so starten wir in einen schönen Sommertag. Unser Ziel heißt Agön, eine Insel mit einer tief eingeschnittenen Bucht, einem kleinen Steg und zwei SXK-Bojen. Und da diese Insel als Ausflugsziel sehr beliebt ist, sind wir ganz erstaunt, dass bei unserer Ankunft beide Bojen frei sind und auch am Steg nur ein Schiff festgemacht hat. Und das an einem Samstag. Uns freut’s und so genießen wir die anscheinend unberührte Natur. Als plötzlich ein riesiger Vogel über den Baumkronen seine Kreise zieht sind wir uns sicher: das ist ein Seeadler. Leider verschwindet er zu schnell und wir begnügen uns rein fototechnisch mit mehreren Graureihern, die erst am Ufersaum sitzen – wo wir sie auch erwartet haben – und sich anschließend in den Bäumen niederlassen. Erst spät am Abend sind sie irgendwann verschwunden.

Wir genießen die Sonne, die Ruhe… bis der kleine Hunger kommt. Es wird mal wieder unser Cobb-Grill ausgepackt. Da abends überhaupt kein Wind ist werden die inzwischen in unserer Nähe ankernden anderen Bootsbesatzungen nicht durch Grillduft angelockt und wir haben unser Grillgut für uns. Leider macht sich eines der Grillwürstchen selbständig und landet beim wenden auf dem Cockpitboden. Genau dort, wo keine Decke ausgelegt ist. Shit happens und so muss nach dem Essen ordentlich geschrubbt werden. Aber wenigstens waren die Würstchen lecker. Warum haben wir in der Vergangenheit eigentlich Chips und Erdnüsse aus dem Cockpit verbannt? War da nicht was… von wegen Fettflecke auf dem Teakdeck…? 🧽🧼 Nun ja… geht wieder raus.

Eine traumhafte Abendstimmung legt sich über die Bucht… bis ein schwedischer Segler meint, uns unsere SXK-Boje streitig machen zu wollen. Hier haben Mitglieder des SXK Vorrang – und wir sind Mitglied. Ich habe die Berechtigungs-Flagge bei unserem Eintreffen zwar nicht am Achterstag bzw. einem Want befestigt, da sie im Wind immer so blöde klappert. Das nervt. Sie hängt also heute mal – geräuscharm – unter dem Baum. Nicht soo gut von weitem zu sehen, aber zu sehen 🔎… Der Schwede kommt also heran gerauscht und… ich halte ihm gleich unsere Flagge vor das immer noch in seiner Hand befindliche Fernglas. Schon ist er beruhigt, wenn auch enttäuscht. Nur seine Frau meinte, noch ein wenig rumzetern zu müssen… Flagge muss gut sichtbar sein und so… Wenn sie’s braucht🤷‍😫🤬 Wie kommen die Beiden auch auf die Idee, abends um 20.30h – im Juli=Hochsaison – noch eine frei Boje vorzufinden? Das passiert erst im September wieder. Sie trollen sich und ankern etwas tiefer in der Bucht. Und: sie sind später die einzigen in der Bucht, die weder ihre Flagge einholen, noch ein Ankerlicht im Top ihres Mastes anknipsen. Das zum Thema Seemannschaft: Null Punkte.

Für den nächsten Tag (Sonntag, 24.07.) ist erst ab nachmittags Wind angesagt und so muß mal wieder der Jockel ran. Auf den Wind wollen wir nicht warten, lieber im nächsten kleinen Hafen einen schönen Platz ergattern. Das gelingt uns in Segelvik, dem kleinen Vereinshafen von Söderhamn. Unterwegs kommen wir mal wieder an vielen kleinen Steinen im Wasser vorbei… wobei einige Steine plötzlich wegschwimmen. Bei näherem Hingucken entpuppen sich allerdings sehr viele Steine als Seehunde 🦭🦭🦭 Eine kleine Gruppe räkelt sich entspannt im flachen Wasser und sonnt sich auf den Steinen. Es scheint hier eine sehr fischreiche Gegend zu sein. Und dann müssen wir auch noch einen massiven Überfall abwehren: gefühlt 1 Mio. Minifliegen entern das Schiff. Es gelingt uns aber, viele von ihnen schon unterwegs zu bekämpfen. Die restlichen werden später im Hafen weggefegt, gesaugt, gewischt… Angriff erfolgreich abgewehrt!

Beim Anlegen in Segelvik kommt uns gleich ein Vereinsmitglied am Steg entgegen, begrüßt uns freundlich, führt uns anschließend über das Gelände und zeigt uns alles. So umfänglich ausgestattet haben wir ein Clubhaus selten gesehen. Große Küche, Fernsehraum, gemütlicher Aufenthaltsraum, super WLan, kleine Sauna mit Holzofen und: eine Eistruhe mit verschiedenen Eissorten! Einfach selbst bedienen (jedes Eis kostet 10Skr/1€) und Geld in die kleine Sammelbüchse stecken. Ganz schön viel Vertrauen, scheint sich aber bewährt zu haben. Der Club feiert im August 140jähriges Bestehen!

Später legen an dem kleinen Gästesteg noch 4 weitere Schiffe an (einen Segler kennen wir schon von früheren Häfen) und damit ist es hier – für unsere Verhältnisse – schon ganz schön voll. Aber für jeden Ankömmling kommt gleich ein Vereinsmitglied (ist wohl für heute als Hafenmeister eingeteilt) und begrüßt die Gäste. Wirklich richtig nett hier!

Der nächste Morgen (Montag, 25.07.) präsentiert sich leider etwas bedeckt, doch da wir eh heute hier bleiben wollen, stört das erstmal nicht. Kalli hat ein dickes Auge – vielleicht vor einigen Tagen blöd Zug gekriegt, das passiert schon mal beim segeln – und das soll erstmal etwas Ruhe haben. Die Bordapotheke gibt einiges her und so werden wir es uns heute hier gut gehen lassen. Am Abend setzt dann leider Regen ein. Aber muß ja auch mal sein. Wir igeln uns ein und der Wetterbericht bereitet uns schon mal auf mindestens noch einen weiteren Hafentag vor. 

Und so kommt es dann auch… die ganze Nacht hindurch und auch am Dienstag, 26.07. regnet es heftig. Und dazu noch kräftiger Südwind… also direkt aus der Richtung, in die wir weiter wollen. Ab morgen dreht der Wind – so die Vorhersage – und soll aus NordWest kommen. Das wäre prima für unsere Kursplanung. Im Regen kommt aber doch noch ein Schiff in den Hafen: mal wieder ein Solosegler. Wir haben unterwegs schonen mehrere getroffen, aber immer nur Männer, die mit ihrem Schiff alleine unterwegs sind. Jetzt endlich mal eine Frau! Man muss das schon mögen, immer alleine an Bord zu sein. Dazu gehen hier bei uns an Bord die Meinungen auseinander.… Aber Tindra erklärt uns später bei einem Sundowner bei uns an Bord,  dass das auch Vorteile hat. Man kommt schneller mit fremden Menschen ins Gespräch und hockt nicht nur mit der eigenen Crew zusammen. Stimmt, wie man sieht. Sie ist übrigens als eine Art Botschafter für den SXK (den schwedischen Seglerverein) unterwegs und hat leider z.Zt. etwas Probleme mit ihrem Motor. Sie hofft, dass er noch bis Saisonende durchhält. Dann wird er ausgetauscht. Der andauernde Regen hat auch was gutes: sämtliche Minifliegen-Leichen, die so an Deck festgetreten herumlagen sind über Nacht weggespült. Wir nutzen dann später eine kleine Regenpause, um endlich mal ein wenig mit unserem Willy fliegen zu gehen. Wird ja mal Zeit. 

Am Mittwoch ist der Winddreher da… aber auch ein massiver Abfall des Barometers und damit auch  mächtig viel Wind… wie schon fast befürchtet. Einen Barometerstand von 995 hPa hatten wir bisher nie. Und es bläst gewaltig. Jetzt nicht mehr von vorne, sondern schräg von achtern. Gut, dass wir einen sicheren Platz haben. Obwohl… unsere Heckboje hat jetzt kräftig Arbeit und geht bei der einen oder anderen heftigen Böe ganz schön auf Tauchstation. Wir wollen lieber nicht riskieren, dass sie langsam ins Rutschen gerät oder sogar bricht und lassen uns, da neben uns der Steg inzwischen frei ist,  ganz langsam längs an den Steg treiben. Jetzt muss natürlich unser Haken aus der Boje und da kommt Tindra: mit ihrem Schlauchi paddelt sie schnell rüber, erlöst die Boje und bringt uns unseren Haken. Lieben Dank an Tindra und eine sichere und erlebnisreiche Weiterfahrt!

Ein bisschen was zum Luftdruck: der hat am Erdboden einen Normalwert von 1013,25 hPa und wird durch das Gewicht der Luft bestimmt. Je höher man sich also befindet, desto geringer ist der Luftdruck. In Abhängigkeit von der Wetterlage kann dieser Luftdruck aber zwischen ca. 970 hPa und 1030 hPa schwanken. Bei hohem Druck herrscht in der Regel schönes Wetter. Sinkt er langsam, steht eine Wetterveränderung an, meist endet eine Schönwetterperiode. Starker Druckabfall (wie wir ihn jetzt grad hatten) kündigt ein sich näherndes Tief an. Jetzt steht schlechtes Wetter bevor und es kann ohne Vorwarnung zu starken Böen oder Sturm kommen. Genau das passiert hier jetzt gerade. Der Mensch hat übrigens kein Sinnesorgan zur Wahrnehmung des absoluten Druckes, kann aber Druckänderungen spüren – wie z.B. im Flugzeug durch Druck auf den Ohren.

Am Donnerstag ist es dann endlich soweit: Wind kommt immer noch aus NordWest mit zuerst 4-5 Bft, später aber etwas abnehmend, und schon sind wir unterwegs – das Barometer zeigt wieder einen „ordentlichen“ Druck von 1010 hPa an und das Wetter wird wieder besser. Es steht zwar, kaum dass wir etwas Abstand zur Küste haben, noch eine mächtige Dünung, doch für die  Stecke bis zu unserem nächsten Ziel, der Insel Storjungfrun, kann man das gut aushalten. Wir haben erst etwas Bedenken, den kleinen Hafen dieser in der Region größten – und namengebenden – Insel anzulaufen, denn es ist nicht viel Platz zum manövrieren – sagt das Hafenhandbuch. Doch bei der Anfahrt ist nur ein Mast eines Segelschiffes über die hohe Betonpier hinweg zu sehen und damit sollte doch wohl genug Platz für uns sein. 

Und so ist es auch. Von den zwei Anlegebojen ist eine frei und schon sind wir fest. Der andere Segler ist gerade im Begriff, abzulegen und 10min. später haben wir das Hafenbecken für uns. So gefällt uns das. Und wenig Platz zum manövrieren hatten wir vor Wochen mal in Järnäshamn… dagegen ist hier massig Platz. Allerdings wollen wir uns lieber nicht vorstellen, was für Stürme diese gewaltige Betonpier auszuhalten hat. Oder warum baut man die sonst so massiv und hoch?

Nach der zwar kurzen, aber schaukeligen Herfahrt haben wir uns einen Einlaufdrink redlich verdient. Und dann aber los und die nähere Umgebung des Hafens erkunden. Der Leuchtturm ist leider geschlossen, wir wären gerne hochgestiegen, aber dafür hängt der Schlüssel für die kleine Kapelle neben der Tür und so können wir hier einen Eintrag im Gästebuch hinterlassen. Einen richtigen Ort gibt es nicht, nur viele kleine rote Häuschen – ehemalige Fischerhütten – stehen verstreut in der näheren Umgebung und können als Ferienunterkünfte angemietet werden. Einige wenige Gäste sind auch da und genießen das Sommerwetter auf ihren Terrassen. Anreise erfolgt für die Gäste mit einem kleinen Wassertaxi vom Festland.

Es ist herrlich hier – vor allem auch, weil wir alleine sind. Ein weiterer Spaziergang bringt uns durch dichten Wald, über Stock und Stein…sieht irgendwie alles ein bisschen verwunschen aus. An der Nordspitze der Insel erwarten uns – wen wundert’s – große Felsen. Und ein Blick zum nicht so weit entfernten Festland. Durch ein gesummse von tausenden von irgendwelchen Minitierchen (waren aber keine Mücken dabei, nur eine Bremse und die konnte ich abwehren) geht es zurück zum Hafen, in dem inzwischen zwei weitere, etwas  kleinere Schiffe festgemacht haben. Sie liegen mit gutem Abstand zu uns, denn die beiden im Hafen ausgelegten Heckbojen sind etwas voneinander entfernt und beide Schiffe teilen sich diese zweite Boje. Am Abend wird erst gegrillt und dann etwas musiziert – eines der Schiffe kommt aus Deutschland und die Crew kann die Texte von Kallis maritimen Lieblingsliedern wenigstens verstehen. 

Am nächsten Morgen wacht der Wind aus seiner oft üblichen Nachtruhe nicht wirklich auf und so müssen wir leider die Segel eingepackt lassen. Wir wollen heut doch mal wieder ein wenig Strecke machen und so schiebt uns der Jockel und eine sanft hinter uns her laufende Dünung – eine angenehmere Variante der gestrigen Wellen – langsam unserem Tagesziel entgegen. Die Sonne strahlt was sie kann und beschert uns, trotz etwas störendem, aber leisem, Motorgeräusch einen schönen Tag auf See. Auf Granskär, einer Gävle vorgelagerten Schäre, erwartet uns ein kleiner Steg vom SXK, 2 freie Ankerbojen, und… Uli. Der Segler, den wir vor einigen Tagen in den Masttop gezogen haben. Er hat uns auf MarineTraffic gesehen und nimmt uns gerne unsere Leinen an. Die Fahrt bis nach Gävle rein – noch etwa 5sm weiter – sparen wir uns. Hier auf Granskär ist es nett, auch wenn man die Nähe zu einer größeren Stadt spürt. Es flitzt das eine oder andere Motorboot durch die Bucht und verursacht dann etwas Schwell, der uns kurz zum Schaukeln bringt. Aber was soll’s…

Abends gibt es noch kurzweilige Gespräche und einen leckeren Absacker (Mirabelle Helene 1986) bei Uli an Bord. Saulecker! Dann aber noch unbedingt einen FaceTimeCall mit Segelfreunden, die auch auf der Ostsee, allerdings in dänischen und südschwedischen Regionen unterwegs sind – schön, dass einem die Technik so etwas heutzutage ermöglicht. Immer mal vertraute Gesichter sehen ist schön! Und dann schnell in die Koje, aber nicht, ohne vorher noch den Kurs für den nächsten Tag vorbereitet zu haben. 

Stay tuned and keep watching

Kommentare:

2 Responses

Schreibe einen Kommentar zu Tindra Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert